Erster Härtetest für unsere BMW R1300 GS

Autobahn, Kurven, Regen - der Weg von Barcelona nach Wien

Wo kann man eine Reiseenduro besser testen als auf der Reise? Ergo schnappte sich unser Reisewolf die BMW R1300 GS, die im spanischen Winterquartier für einige interessante Vergleichstests herhalten musste, um sie auf Achse zurück nach Österreich zu bringen. In drei Tagen absolvierte er damit 2.138 Kilometer - auf der Autobahn, auf kurvenreichen Küsten- oder Bergstraßen in Spanien und Frankreich, aber auch im Regen, so richtig Regen…

Irgendetwas zwischen Test- und Reisebericht

Herausgekommen ist ein Rückblick, der irgendetwas zwischen einem Test- und Reisebericht ist. Ein reiner Test würde auch die Abhandlung sämtlicher technischer Features und Leistungsdaten erfordern, was Nasty Nils in seinen Berichten ohnehin schon zur Genüge getan hat. Eine Reise unter normalen Umständen bzw. mit entsprechend Zeit würde wiederum (weit) weniger Autobahnkilometer und dafür mehr fahrerische Highlights bzw. Streckentipps parat halten. Also starten wir die BMW R1300 GS erst einmal an und fahren am Samstag in aller Herrgottsfrüh, also für spanische Verhältnisse - kurz nach dem Frühstückskaffee, den es im Hotel erst ab 8 Uhr gab und auf den ich nicht verzichten wollte - in Barcelona los.

Man fühlt sich sofort nach dem Aufsteigen wohl im Sattel der GS

Der Boxer klingt immer noch, wie ein Boxer zu klingen hat. Sehr gut, der eine oder andere Freak hatte mich diesbezüglich ja ein wenig verunsichert gehabt. Also gleich einmal rauf auf die Autobahn Richtung Girona, ein paar Kilometer machen. Der Windschild fährt in die oberste Position, elektrisch, versteht sich von selbst, sofern man das entsprechende Kreuzerl in der Ausstattungsliste gemacht hat. Die Kollegen von 1000PS haben diese Funktion auf die Rauf-Runter-Pfeiltasten gelegt, so dass ich nicht im Menü suchen musste Danke vielmals dafür. Der Windschutz ist top, auch bei Autobahngeschwindigkeiten verspüre ich mit meinen 1,75 keinerlei störende Verwirbelungen am Helm, Kniewinkel und Sitzkomfort passen auch GS-typisch gut: Man fühlt sich sofort nach dem Aufsteigen wohl im Sattel.

Wunderbarer Tempomat, der sich aber auch plötzlich ohne Vorwarnung abschaltete

Autobahn? Wenns denn sein muss. Schreit jedenfalls nach Tempomat. Der in der neuen GS erstmals auch adaptiv, also mit Radar-Unterstützung vorne wie hinten, zu haben ist. Ein wunderbares Komfort-Feature, das man auf langen Etappen zu schätzen weiß, verringert es doch automatisch das Tempo, wenn sich ein langsameres Fahrzeug vor einem befindet und gibt dann bis zur voreingestellten Geschwindigkeit Gas, sobald man die Fahrspur wechselt bzw. freie Fahrt hat. Alles weitestgehend ruckfrei und harmonisch. Eingestellt wird sie mit einem kleinen Hebel am linken Lenker, rauf und runter in Kilometerschritten oder auch - bei längerem Druck - in Zehn-km/h-Schritten. Funktioniert reibungslos, ebenso der Tote-Winkel-Assistent, der mit einem kleinen Lichtsignal in den Rückspiegeln gut sichtbar, aber nicht wirklich störend anzeigt, wenn sich ein Fahrzeug links oder rechts hinter einem in dieselbe Richtung bewegt. Ein absolutes Sicherheitsfeature, auch wenn ich mir den Schulterblick vorm Überholen bzw. Spurwechsel deshalb nicht abgewöhnen werde. An dieser Stelle sei aber auch gleich erwähnt, dass sich der Tempomat auf der dreitägigen Reise insgesamt gezählte fünfmal ohne Vorankündigung einfach abschaltete. Zwar zeigte er dies auch am Display mit "Temporegelung deaktiviert" brav an, ärgerlich ist es dennoch. Auch, weil sich kein schlüssiges Szenario rückverfolgen ließ, wann dies der Fall ist. Dachte ich Anfangs, der Radar könnte durch LKW links und rechts aus dem Konzept gebracht worden sein, weil gerade jedesmal einer direkt neben mir fuhr, so passierte es später auch ohne andere Verkehrsteilnehmer in unmittelbarer Nähe.

Die Straße zum Cap de Creus fast für mich allein

Vorbei an Girona, Zeit die Autobahn wieder zu verlassen. Bei Roses biege ich zum malerischen Küstenort Cadaques ab, wo einst Salvador Dali lebte und dann weiter zum Cap de Creus, Spaniens östlichstem Festlandzipfel. Die Strecke wird kurvenreich, das Motorrad lässt sich extrem agil und spielerisch einlenken, das satte Drehmoment von 149 Newtonmeter vermittelt jederzeit Souveränität, egal ob man eigentlich einen Gang zu hoch ist, oder man die 145 PS zum Sprint zwischen den Kurven ausreizt. Fühlt sich irgendwie noch einen Tick sportlicher an, als in der R1250 GS, wobei es auch dieser keinesfalls an Sportlichkeit mangelt. Dazu kommt ein Quickshifter, der die Gänge rauf und runter nur so reinflutschen lässt, gegenüber dem Vorgänger klar verbessert wurde und nun auf Augenhöhe mit der Top-Konkurrenz von Ducati, KTM oder Triumph ist. Das letzte Stück bis zum Cap, das auch Startpunkt für den ACT Pyrenäen ist, habe ich fast für mich und die GS allein, beim Leuchtturm angekommen, betrachte ich den neuen Stern am Reiseenduro-Himmel dann einmal genauer. Der markante Scheinwerfer mit dem X mag polarisieren, mir persönlich gefällt er besser als die ungleichen Lichter des Vorgängers, der große Radar-Sensor dagegen macht kein Motorrad hübscher. Über die Seitenansicht lässt sich streiten, der Gitterrohrrahmen der 1250er hatte definitiv mehr Wiedererkennungswert als die neue Variante mit dem Blechschalen-Hauptrahmen und angeschraubtem Heckrahmen aus Aluminium-Druckguss, das etwas mehr nach Reiseenduro-Einheitsbrei wirkt, an der anderen Hand aber auch zur Gewichtsersparnis beigetragen haben soll.

Fahrwerk auf höchstem Niveau, Kurven zum Aufladen der menschlichen Batterien

Nachdem ich dort genug Zeit vertrödelt und an der fahrenswerten Küstenstraße noch ein paar bleibende Ausblicke inhaliert hatte, gings zurück auf die Autobahn und weiter nach Frankreich. Zumindest bis Avignon mit seinem prunkvollen Papst-Palast wollte ich kommen, es ging dann noch ein paar Kilometer weiter bis Carpentras, wo ich mir einem Bleibe für die Nacht fand und Abends der guten französischen Küche fröhnte. Diesmal ließ ich das Frühstück aus, da ich nicht bis 8 Uhr warten wollte, und startete Früh Richtung Gorges de la Nesque, eine ebenso sehens- wie fahrenswerte Schlucht. Der Weg dorthin war unterschiedlichster Qualität, auch das eine oder andere kurze Schotterstückchen ließ ich nicht aus, das semiaktive Fahrwerk der GS bügelte feinfühlig jegliche Unebenheiten weg - punkto Präzision sind wir hier auf höchstem Niveau. Auch der neue Telelever arbeitet präzise, unterstützt dabei wahrscheinlich höhere Kurvengeschwindigkeiten, wenngleich mir persönlich damit etwas von jenem Feedback fehlt, das mir Upside-Down-Gabeln liefern. Jedenfalls genoss ich die Strecken, mied die schneebedeckten höheren Berge rund um mich und lud in spaßbringenden Kurvenorgien meine inneren Batterien für den Rest der Tour auf, die fortan eher dem Kilometerfressen gewidmet sein sollte.

Ab acht Stunden im Sattel meldet sich der Hintern

Weil ich mich nun schon einmal nördlich von Avignon befand, führte mich mein Weg weiter Richtung Schweiz. Dort wird aus dem Komfort-Feature des adaptiven Tempomat rasch ein Sicherheits-Feature: Hilft es doch, Geschwindigkeitsverstöße zu vermeiden, die das Budget eines österreichischen Journalisten dort rasch sprengen könnten. Was sich auch positiv auf den Benzinverbrauch auswirkte: Durch die Schweiz genehmigte sich die GS lediglich 4,9 Liter auf 100 Kilometer, auf anderen Abschnitten der Tour waren es bis zu 6,7 - im Schnitt 5,8. Womit sich im Zusammenspiel mit dem im Vergleich zum Vorgänger um einen Liter auf 19 Liter geschrumpften Tank bei meiner Fahrweise eine Reichweite von nicht ganz 330 Kilometer pro Tankfüllung ergibt. Nach dem zweiten ganzen Tag im Sattel hintereinander würde ich der Sitzbank der R1300 GS Trophy ein Befriedigend verpassen - an sich bequem und von der Ergonomie top, nach mehr als sieben, acht Sunden im Sattel meldet sich zumindest bei mir aber dann doch der Hintern, was so nicht bei jedem Motorrad der Fall ist. Quartier fand ich direkt an der Autobahn bei Bern, am nächsten morgen weckte mich Regen. Starker Regen. Zunächst brauchte ich eine Weile, um in den Tiefen des Menüs Griff- und Sitzheizung zu aktivieren. Leider kann man auf den Auf-und-Ab-Schalter nur eine Funktion vergeben, bei dem Wetter blieb der Windschild aber sowieso in der höchsten Position, weshalb er nun für die Heizung frei wurde. Jeweils drei Stufen stehen zur Verfügung, die höchste am Sitz ist immer nur für kurzes Aufwärmen zu empfehlen, ansonsten brennt einem der Allerwerteste im wahrsten Sinne des Wortes weg. Die Griffheizung dagegen hat bei Regen und sieben Grad durchaus auch Stufe drei vertragen, zumindest abschnittsweise.

Kein Umweg ohne Vorteil: Motorrad und Test-Reifen im Regen top

Dass ich ab kurz nach Bregenz ohne Navi unterwegs gewesen bin, hat nichts mit der BMW zu tun, sondern damit, dass mein Garmin Montana 700i, das ich bei Testbikes gerne am Lenker montiere, nach vier, fünf Stunden im Batteriebetrieb leer ist und ich im strömenden Regen nicht wie sonst die in der Brusttasche verstaute Powerbank anschließen wollte. Kein Problem, wenn man die Gegend kennt also einfach weiter Richtung München, dann Salzburg und heim… Warum auch immer, schaffte ich es tatsächlich, in München auf die Autobahn Richtung Garmisch Partenkirchen abzubiegen und merkte das im Regen erst kurz vor dem beliebten Wintersportort. Was einen Umweg von deutlich über 100 Kilometer nach sich zog und mir ein Stück deutscher Alpenstraße durch Bad Tölz in Richtung Salzburg bescherte. Bei besserem Wetter ein Genuss, so zumindest eine gute Gelegenheit, den neuen Michelin Anakee Road ordentlich auf seine Regenperformance testen zu können. Der Wind- und Wetterschutz an der GS könnte jedenfalls kaum besser sein. Weshalb ich Montag Abend trotz gut 800 der 1100 Kilometer am letzten Tag im Regen nach insgesamt 1.238 Kilometern recht entspannt daheim ankam.

Bericht vom 25.04.2024 | 10.387 Aufrufe

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